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Suizid

Die Zahl der Rettungseinsätze wegen versuchten Suiziden ist im Jahr 2020 gestiegen.

Maren Zaidan, 13. November 2020 21:51 Uhr

Die schlechten Ereignisse häufen sich bis es zu viel wird.

Für jeden der sich mit psychischen Erkrankungen beschäftigt hat, ist sozialer Rückzug ein Indikator dafür, dass in einem Menschen etwas zerbrochen ist. Sozialer Rückzug bedeutet, dass Menschen sich von ihrem Umfeld abschotten. Die Freunde werden immer weniger gesehen, die Familie wird nicht mehr besucht, Beziehungen werden aufgelöst und mit den Kollegen wird nur noch das geredet, was zur Arbeit nötig ist. Sozialer Rückzug allein ist kein Symptom, welches nur auf eine Erkrankung hinweist, sondern muss im Zusammenspiel mit anderen Verhaltensweisen betrachtet werden. Viele dieser Erkrankungen enden im schlimmsten Fall im Selbstmord. Deshalb sollte jeder, der bei einem anderen Menschen sozialen Rückzug wahrnimmt, die Situation des anderen ernst nehmen und so gut es geht selbst zu helfen oder Hilfe holen.

Das ist der Grund, warum es mich seit Anfang diesen Jahres jedesmal schüttelt, wenn ich „Social Distancing“ höre. Für mich ist Social Distancing Sozialer Rückzug auf Empfehlung der Regierung. Es ist ein sehr bedenkliches Verhalten, welches schöngeredet wird.

Über das Jahr hinweg haben wir immer wieder von einem Anstieg psychischer Erkrankungen gelesen. Die Zeitungen haben begonnen, immer mehr darüber zu schreiben, wie man mit Einsamkeit, Depression, Ängsten und Jobverlusten besser umgeht. Gleichzeitig wurde jeder gelobt, der Social Distancing praktiziert. In den letzten Wochen höre ich aus der Politik, dass wir mehr Social Distancing leben müssen. Wir müssen auf die schönen Seiten des Lebens verzichten. Dass die Empfehlung und die zum Teil künstlich geschaffenen Umstände, nämlich das Herunterfahren der Wirtschaft oder das ständige Angst machen, zu diesen Problemen führen, wurde so gut es ging verschwiegen.

Nun schreibt die Berliner Zeitung, dass es doch einen Anstieg der selbstmordversuchbedingten Einsätze in diesem Jahr gab. Es ist für mich kein großes Rätsel, weshalb wir diesen Artikel erst im November lesen. Es gibt für alles Grenzen. Jedes Leiden ist bis zu einem gewissen Punkt zu ertragen. Der Jobverlust ist nicht schön aber ertragbar, gepaart mit den verlorenen Freunden und der Angst tödlich zu erkranken, macht er jedoch psychisch krank. Die psychische Erkrankung ist auch wieder zu ertragen bis alles zu viel wird. Die Probleme, die bereits vor der Krise da waren, sind unterschiedlich groß. Die Grenzen liegen verschieden hoch. Es braucht Zeit bis das Fass zum Überlaufen kommt. Im April war alles für die meisten hinnehmbar und man hat die Probleme als vorübergehend gesehen. Inzwischen nähert sich das Jahr 2020 dem Ende. Draußen wird es nicht mehr richtig hell. Es ist Herbst. Es ist kalt und nass. saisonale Depressionen haben jetzt immer Hochsaison. Gründe an einer Depression zu erkranken oder sich nicht mehr damit am Leben zu halten, dass man sein jährliches Tief hat, gibt es dieses Jahr viel häufiger.

Dank Social Distancing treffen sich die Menschen nicht mehr. Viele arbeiten im Home Office. Früher hat der Kollege, der Freund, die Verwandtschaft gemerkt, wenn sich ein Mensch schlecht gefühlt hat oder sich zurückgezogen hat. Heute wird Rückzug empfohlen, also ist soziale Abschottung kein Anzeichen mehr für Probleme. Heute sind so viele Menschen verängstigt, dass die Angst des anderen normal wirkt. Im Jahr 2020 muss man sich die Frage stellen, bei wie vielen Menschen gar niemand mehr merkt oder da ist, wenn alles zu zerbrechen scheint. Unter Social Distancing sollte ich nicht bei den besten Freunden vorbeigehen um nebenbei zu merken, wann es Zeit ist einfach mal über die traurigen Seiten des Lebens zu reden oder etwas Schönes zusammen zu machen. Füreinander da sein wurde abgeschafft.

Der Herbst und Winter sind noch lang. Die Zeit, in der Menschen Trost durch zusammen sein finden, wurde eingeschränkt. Dieses Jahr gibt es keinen Karneval, um die grauen Straßen mit Konfetti zu kolorieren. Dieses Jahr soll das Weihnachten mit Familie und Freunden anders werden, einsamer. An vielen Festen hängen emotionale Erinnerungen. Wir bekommen Halt durch Traditionen und Riten. Wir werden enttäuscht, wenn die Erinnerung uns ein Bild wie es immer war liefert, aber das jetzt viel trauriger ist.

In der Corona-Krise wird mit Leben gespielt. Es wird vermieden, dass Menschen an dem Virus erkranken, Folgen davontragen und sterben. Es wird nicht gesehen, dass Menschen gerade Angst davor eingeredet bekommen, rauszugehen, ein Sozialleben zu führen, ohne Angst ihren Alltag zu leben. Sie sitzen in ihren Wohnungen und weinen oder fühlen gar nichts mehr. Die Maßnahmen müssen überdacht werden. Sie führen zu wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Problemen. Alles zusammen führt bei einigen Menschen zu Entscheidungen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Ich hoffe nicht eines Tages aufwachen zu müssen, um zu realisieren, dass ein mir lieber Mensch erkrankt oder gestorben ist, weil ich einfach nicht da war.

Die meisten von uns können nicht viel an den Maßnahmen ändern. Wir können uns aber bewusst machen, dass sie falsch sind. Bitte fangen sie an, selbst darüber nachzudenken, ob sich ihr Verhalten geändert hat. Versuchen sie über die Gründe, die Freunde und Familie nicht mehr zu sehen hinwegzuschauen. Nehmen sie den Mut zusammen ihr Leben so normal, wie es geht weiterzuleben. Bitte achten Sie auf Ihr Umfeld. Versuchen Sie die Freunde, die sich zurückziehen wieder zu treffen. Achten Sie darauf, wer Anzeichen von psychischen Problemen zeigt.

Falls Sie selbst oder eine Person in Ihrem Umfeld suizidgefährdet scheinen oder sich mit den Inhalten dieses Artikels identifizieren, suchen Sie bitte Hilfe bei Sorgentelefonen, sowie Ärzten und Therapeuten in Ihrer Nähe.


Maren Zaidan
Bundesvorsitzende der Partei DIE FÖDERALEN