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Selbsteinschätzungen und das Problem der anderen

Es liegt nie an uns selbst, sondern immer an den anderen, die sind einfach viel zu problematisch!

Maren Zaidan, 31. Juli 2020 06:09 Uhr

Teamarbeit klappt wenn die Zusammensetzung stimmt

Egoismus, hoher Selbstwert und ein Hang zum Narzissmus prägen unsere Zeit. Jeder der versucht, Gruppen zusammenzuhalten oder aufzubauen trifft auf Probleme, die in dieser Form gar nicht vorstellbar wären, wenn sie nicht wirklich existieren würden.

Der Beginn der Geschichte ist die Selbsteinschätzung. Menschen halten sich, zumindest wenn sie kein niedriges Selbstwertgefühl haben, immer für etwas besser als der Durchschnitt. Wir sind sozusagen alle etwas intelligenter, gebildeter, attraktiver und sowieso besser als der Rest von uns. Und da wir alle bessere Menschen sind als die anderen, sind die Gefahren in unserem Leben auch geringer. Guten Menschen passiert nichts Schlechtes. Das merkt man immer, wenn irgendwo eine Katastrophe passiert, dann heißt es in Interviews: Dass so etwas hier bei uns passieren kann!. Einzelpersonen können mehr riskieren als andere, weil ihnen so etwas nicht passiert!.

Kommt man dann in Gruppen, merkt man schnell wie bestimmte Personen sich selbst abheben von den anderen. Manchmal tritt dann leider der Effekt zu Tage, dass man sich selbst überschätzt hat und alle es merken. An anderen Stellen wird vergessen, wie Rollen besetzt werden sollten. Wenn jeder perfekt ist, fällt es jedoch auch schwer, Rollen sinnvoll zu besetzen, da alle alles können. Im schlimmsten Fall werden Teams arbeitsunfähig, man macht sich gegenseitig kaputt oder es muss neu besetzt werden. Alle Folgen sind ziemlich verletzend für unser Ego. Nebenbei gesagt, gehen die mit weniger großem Selbstwert meist langsam aber sicher in diesen fehlbesetzten Systemen unter, da sie nicht gesehen werden.

Da wir alle ziemlich nah an der Perfektion sind, sehen wir natürlich sehr stark die Fehler der anderen. Um Fehler abzuschieben und den eigenen Status aufzubessern, fällt es leicht, alle Charakterfehler und Handlungsfehler der anderen herauszukramen und zu analysieren. Statt die Chance zu geben an den Fehlern zu arbeiten, werden sie oft so groß dargestellt, dass eine Verbesserung nicht mehr möglich ist. Die eigene Person macht alles richtig und es wäre alles gut, wären die anderen nicht so problematisch!

Wenn dann mal jemand doch einen Fehler an uns selbst entdeckt, wird dieser Abgestritten, denn wie gerade eben schon geschrieben, man selbst hat keine Fehler. Es ist zu unangenehm. Statt das zu tun, was man von anderen verlangt, nämlich an den eigenen Fehlern und Eigenheiten zu arbeiten, kommt es zu einem Verhalten, das mit in die folgenden Worte fassen könnte: Ich bin so wie ich bin und möchte mich nie ändern. Würde es uns nicht allen mehr bringen, wenn wir uns gegenseitig helfen, unsere Fehler auszugleichen und zu korrigieren? Dafür müsste man aber zuerst einsehen, dass man selbst nicht unfehlbar ist.

Und so kann auch ein Fehler, egal ob er wirklich einer ist oder nicht, alles zerstören. Wir leben in einer Welt, in der es oft so scheint als gäbe es nur einen Weg, ein Ziel und eine richtige Meinung. Als Kind habe ich gesagt bekommen: Aus Fehlern lernt man. In der heutigen Zeit reden wir von einer neuen, besseren Fehlerkultur, aber Fehler sind unverzeihlich geworden. Die Meinung, die einem selbst nicht passt, ist unverzeihlich geworden. Die Tagesstimmung ist entscheidend über den Rest der Zusammenarbeit oder Beziehung. Man selbst hat natürlich auch mal einen schlechten Tag, aber die anderen sollten sich zusammenreißen können!

Im Fall, dass alles ausgesprochen wird, erfolgt nun die heiße Phase. Man vergisst, dass der Gegenüber auch ein Mensch ist und vielleicht sogar Gefühle besitzt und schreit rum oder beleidigt sich. Selbst politische Diskurse, die nichts mit der Persönlichkeit oder dem eigenen Leben zu tun haben, werden plötzlich laut und verletzend. Hinterher beklagen wir uns dann gern, wie ungehobelt der andere war und wie verletzend das alles ist. Ja, in Streitereien fliegen oft Worte, die man nicht so meint und hinterher bleiben sie trotzdem oft irgendwo in unseren Köpfen. Vielleicht sollten wir öfter an das Hinterher denken, bevor wir anfangen persönlich und laut zu werden. Ein nicht persönlich gemeint hilft nämlich dann auch nicht mehr, wenn es eben gerade das ist.

Die Königsdisziplin, um sich selbst als der Beste herauszustellen, sind Intrigen. Einfach hier und da ein böses Wort über den anderen verbreiten und ja nicht zulassen, dass auch der Rest der Menschheit noch Freunde hat. Wie soll man seinen Status als wertvollster Mensch behalten, wenn es da noch andere anerkannte Menschen gibt? Das ist schwer. Also verbreitet man Gerüchte und wundert sich, warum der Rest der Welt nicht mehr weiß, woran er glauben soll oder besser gesagt kann!

Lass uns am besten nicht darüber reden. Auch dieser Einstellung begegnet man selbst, wenn es um politische und damit eher unpersönliche Themen geht. Die Frage ist nur, wie wir einen politischen Kurs finden wollen, wenn es uns zu schwerfällt, Meinungen auszusprechen und Gegenmeinungen auszuhalten. Wie soll der andere von etwas überzeugt werden, wenn er nicht einmal die Argumente kennt? Ist man sich doch zu unsicher über die eigene Meinung oder hat sie selbst nur übernommen und kennt die Argumente nicht?

Am Ende zählt es, dass wir uns alle an die eigene Nase fassen. Gewisse Verhaltensweisen hat jeder von uns. Manche sind typisch für bestimmte Gruppen. So gibt es die berühmte Geschichte vom streitenden Ehepaar: der Mann schweigt, die Frau redet immer weiter und da sich beide von Verhalten des anderen genervt fühlen, gibt es nur noch mehr Ärger. Ich denke, es ist wichtig für sich allein abzuwägen, worin man gut ist, was die eigenen Stärken sind und das Feedback der anderen als Bestätigung oder eben Irrtumsanzeichen zu nutzen. Meist fängt eben die Änderung am Großen im Kleinen an. Danach könnten wir anfangen, wieder etwas einsichtiger und respektvoller mit unseren Mitmenschen umzugehen. In jedem Team gibt es sehr verschiedene Rollen. Alle Rollen sollten passend besetzt werden. Jede Rolle hat ihren Wert. Es sollte niemand Angst haben (müssen), seinen Platz nicht zu finden.


Maren Zaidan
Bundesvorsitzende der Partei DIE FÖDERALEN
Essen, den 31.07.2020