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Gruppenfeeling

Weil es sich gerade so gut/schlecht anfühlt

Maren Zaidan, 29. Juli 2020 06:03 Uhr

Gruppenentscheidungen sollten nicht unter Einfluss von großen Emotionen getroffen werden

Wir alle kennen es von Karnevalsveranstaltungen über Diskotheken bis hin zu diktatorischen Systemen. Musik und am besten Musik, zu der sich alle zusammen gleich bewegen, schafft ein Gemeinschaftsgefühl, was sich gut anfühlt. Egal wie furchtbar man die Stücke privat findet, sich im Einklang mit anderen zu bewegen löst Freude aus. Leider wurde dieser Effekt in der Geschichte und bis heute auch negativ genutzt. Ich habe zum Glück in letzter Zeit in Deutschland kein Militärorchester gefunden, welches die Massen vereint. Aber Gefühle von Gruppen habe ich trotzdem wahrgenommen und ihre Konsequenzen zu spüren bekommen.

Vor ein paar Wochen saß ich in einer Gruppe von Menschen, die plötzlich festgestellt hat, dass sie sich verrannt hatte. Die Stimmung wurde schlechter. Auch eine Pause, um durchzuatmen und neue Gedanken zu fassen, brachte nicht viel. In dieser Pause schaffte es niemand abzuschalten, stattdessen redeten alle über den Fehler und verdarben sich gegenseitig die Stimmung. Ein Tag, der gut begonnen hatte, wurde zu einem an dem jeder dem anderen auf die Mängel aufmerksam machte, die der andere noch nicht selbst gefunden hatte. Alles endete in einer großen Uneinigkeit und Streit. Es wäre egal gewesen, welcher Lösungsvorschlag gemacht worden wäre, alles fühlte sich falsch und schlecht an.

Vor kurzem saß ich hingegen in einer sehr zufriedenen Gruppe. Man dachte vorher, dass es Probleme und Streitereien geben könnte, aber das Gegenteil hat stattgefunden. Alle redeten über die positiven Gefühle und Erfolge, eben über das worauf man stolz sein konnte – als Gruppe. Aufgrund der Befürchtungen im Vorhinein und der noch ungeklärten Punkte, stellte ich dann eine noch offene Frage, ein Themenpunkt der vorher umstritten war. Ich selbst wusste noch nicht richtig, was meine Meinung war. Ich dachte es wäre der richtige Zeitpunkt, um über Kritisches zu sprechen. Ich nahm an, die Gruppe sei gut genug gelaunt, um nicht auszurasten, aber trotzdem objektiv zu sein. Wie immer im Leben kam es anders. Das positive Gefühl steigerte sich so stark, dass ich über die Reaktionen überrascht war. Statt einer Diskussion, wurde einfach von allen zugestimmt, als wäre das unkritische Thema überhaupt nicht kritisch, sondern sonnenklar. Ich war wirklich überrascht.

Am nächsten Morgen passierte etwas anderes. Es war als erwache man aus einem Traum. Die Gruppenmitglieder hatten plötzlich realisiert, dass sie aus einer Stimmung heraus etwas beschlossen hatten, was ihnen jetzt nicht mehr so richtig passte. Jetzt ging eine wilde und emotionale Diskussion los. Das Wohlfühlen war vorbei. Jeder musste sich damit konfrontieren, was die gestrige Entscheidung für ihn persönlich bedeutet. Es artete nicht aus, aber es war interessant.

Ich schreibe von diesen anonym gehaltenen Ereignissen, weil sie sehr schön zeigen, wie man Gemeinschaftsgefühl ausnutzen kann. Dies ist an diesen Stellen zum Glück nicht passiert. Es passiert dafür bei anderen Gelegenheiten. Die Werbebranche und jeder, der überzeugen muss, weiß heutzutage über die Wirkung von Musik, Bildern und Texten Bescheid. Auch in politischen Videos und Aufklärungskampagnen werden Emotionen ausgelöst. Selbst wenn wir allein vor dem Bildschirm sitzen, schaffen es die Medien, Gruppengefühle auszulösen: künstliche Verbundenheit, die dazu genutzt werden kann, um zu überzeugen. Eventmanager wissen, wie man viele Menschen, die sich gegenseitig nichts bedeuten, innerhalb von wenigen Minuten zu einer glücklichen Einheitsmasse macht. Menschen mit schlechten Absichten wissen, wie man bei sehr vielen Menschen auf einmal die Stimmung kippt. Sie wissen, wie man Menschen gegeneinander aufbringt. Wann streitest du dich mehr mit deinen Lieben? Wenn gerade alles gut ist oder wenn gerade einiges schief geht?

Vor diesem Hintergrund möchte ich eine Empfehlung geben. Wir müssen uns mehr Bewusstsein über solche Prozesse erschaffen. Die alte Redewendung Die Spatzen fliegen in Scharren, der Adler fliegt allein., kann je nach Situation manchmal auch negativ ausgelegt werden. Aber um die eigenen Entscheidungen nicht zu bereuen, hilft es manchmal einen Schritt zurückzutreten. Die eigene Meinung kann man manchmal erst finden, wenn die anderen nicht mehr hörbar sind und die eigene Stimmung wieder neutral ist. Positive und negative Stimmungen beeinflussen unsere Entscheidungsfindung. Es ist toll, sich eins mit vielen Menschen zu fühlen, aber es macht einen Unterschied, ob es nachts auf einer Party ist oder bei einer politischen Veranstaltung. An manchen Tagen könnte man alle Türen zuschlagen, an manchen die ganze Welt umarmen – beides führt nicht unbedingt zu den besten und überlegtesten Entscheidungen. Es lohnt sich, nach ein wenig Zeit allein, zu den Menschen zurückzukehren und seine ganz eigenen Überlegungen einzubringen. Man braucht manchmal nur etwas Mut dazu, sich auch einmal zurückzuziehen.


Maren Zaidan
Bundesvorsitzende der Partei DIE FÖDERALEN
Essen, den 29.07.2020