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Ich bin ganz anders als ihr, aber möchte dazugehören!

Von dem Wunsch nach einer Einzigartigkeit, die extrem beliebt macht

Maren Zaidan, 14. Juli 2020 19:10 Uhr

Wie wir trotz Einmaligkeit dazugehören möchten

Das wohl typischste Alter für das umschriebene Phänomen ist die Jugend. Als Teenager tun die meisten von uns alles, um aus der Rolle zu tanzen: provozierende Frisuren und Kleidung, Musik und Filme, die bitte Kopfschmerzen bei den Eltern auslösen und der Schwur, nie erwachsen zu werden und die altmodischen Regeln der vorherigen Generationen für immer abzulehnen. Die Aufzählung könnte noch endlos weitergehen. Gleichzeitig ist es den meisten wahnsinnig wichtig dazuzugehören. Niemand möchte das schwarze Schaf sein, obwohl das schwarze Schaf in Wirklichkeit, das mit der größten Einzigartigkeit ist, denn es passt einfach nicht zu den anderen. Es macht Angst die Individualität zu verlieren, aber es macht auch Angst allein zu sein.

Im Erwachsenenleben haben wir meist keinen so großen Drang mehr zu provozieren oder auf den ersten Blick einzigartig zu sein. Wir haben verstanden, dass wir alle einzigartig sind, ohne uns darum zu bemühen. Die meisten haben zum Glück ein einigermaßen stabiles Umfeld geschaffen. Und trotzdem ist da noch ein kleines Bedürfnis, sich abheben zu wollen und gleichzeitig auf keinen Fall allein zu sein. Unsere Lösungsstrategie: Wir suchen uns Gruppen, die uns das richtige Maß an Einzigartigkeit und gleichzeitiger Integration bieten. Die Wirtschaft profitiert von unserem Zwang als Individuum dazuzugehören. Merchandising, Mode und Marken geben uns die Chance, unsere Bedürfnisse zu erfüllen und für alle Ungläubigen gleichzeitig zur Ersatzreligion zu werden.

Die Gruppen in unserem Leben sind unterschiedlich groß und kommen sehr unterschiedlich zustande. Freundeskreise, Arbeitsteams, Nachbarschaften, Religionen, Vereine, Parteien oder Subkulturen, das alles sind Gruppen denen wir uns anschließen oder auch nicht. Da wir uns mit den Gruppen, in denen wir uns bewegen, identifizieren wollen und es sehr unnatürlich ist, sich mit mehreren Millionen Menschen oder auch schon hunderten Menschen komplett zu identifizieren, bilden sich in den größeren Gruppen wiederum Subgruppen. In Parteien sind dies dann Flügel. Dieses Phänomen ist vollkommen natürlich und sollte nicht unterbunden werden. Der Witz an dem Phänomen ist, dass die Individualität durch Gruppenanpassung entsteht. Man fühlt sich in der großen Gruppe der Menschheit als Individuum und in der kleinen Gruppe als dazugehörig. Gruppenzugehörigkeiten geben uns innere Stärke. Sie sollten jedoch nicht dazu genutzt werden, Menschen zu Taten zu bewegen, die dem Individuum selbst oder anderen Personen schaden. Ein Individuum in einer Gruppe zu sein, heißt auch gleichzeitig noch zu anderen Gruppen zu gehören, d.h. es kann (innere) Konflikte zwischen den Zugehörigkeiten geben. Jede Gruppe, die strukturiert arbeitet, sollte akzeptieren, dass es nie ein großes ganzes einheitliches Bild geben wird.

Je nach Art der Gruppe braucht es mehr oder weniger Struktur. Es kommt auch auf die Art der Gruppe an, wie sehr diese Struktur von allein entsteht und inwieweit sie niedergeschrieben und aufgebaut werden muss. Die Individualität in der Gruppe kann erhalten bleiben, indem die einzelnen Mitglieder Rollen annehmen. In der Rolle des Organisators, der Sekretärin oder der Tante bin ich einzigartig und habe somit keine Angst, in einem Meer von Menschen unterzugehen und mich zu verlieren.

Wir neigen auch dazu, einzigartig in der Gruppe zu sein, indem wir die Identität der Gruppe besonders uns selbst zuschreiben. In einer Gruppe, die sich für besonders sozial hält, kann es passieren, dass Einzelne sich nochmal für sozialer halten als der Durchschnitt in der Gruppe. Somit ist das Herausfallen aus der Norm sogar etwas Positives. Inwiefern diese eigenen Eindrücke der Realität entsprechen, kommt auf den Fall an. Meist sind es einfache Behauptungen, an die wir selbst zu glauben versuchen, um unser inneres Paradox zu lösen.

Eines ist jedoch sicher. Wir leben in einer Welt von Kleinfamilien und zerfallenen Familien. Der Wunsch dazuzugehören ist sehr groß. Wir müssen aufpassen, dass dies nicht ausgenutzt wird. Die verzweifelte Suche nach der richtigen Gruppe (und wenn es nur eine Marke ist oder in gefährlichen Fällen eine Weltuntergangssekte) ist groß.


Maren Zaidan
Bundesvorsitzende der Partei DIE FÖDERALEN
Essen, den 14.07.2020