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Zwei Pandemien ohne Beachtung: Zweckbeziehungen und Nachrichten-Amnesie

Eine moderne Komödie von den inneren Werten und der gegenseitigen Wertschätzung

Maren Zaidan, 13. Juli 2020 15:26 Uhr

Freundschaften nur noch online und mit Zweck?

Meine damals beste Freundin versprach mir, dass es egal ist, was in der Vergangenheit war, denn diese Freundschaft ist wertvoll und wird ein Leben lang halten. Meine neue beste Freundin findet, die Vergangenheit ist niemals egal, aber sie kann damit umgehen und nebenbei gesagt wäre meine alte beste Freundin nicht unbedingt die Klügste.

Diese Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit.

Ich habe viele Geschichten von lebenslangen Freundschaften gehört. Freundschaften, die im Sandkasten begannen und damit enden, dass einer beim anderen traurig vorm Grab steht. Ich war viel zu jung als ich merkte, dass ich diese Art von Freundschaft nicht habe. Als ich neunzehn war und die ersten merkwürdigen Erlebnisse über wahre Freundschaft hinter mich gebracht hatte, sagte ein Mann der altersmäßig mein Vater hätte sein können zu mir:

Du wirst, wie jeder von uns nur drei wahre Freunde im Leben finden. Wann du diese findest steht nicht fest.

Sicher, diese Aussage ist plump und ich möchte nicht anfangen zu zählen. Man kann auch von ihr nicht ableiten, wer in meinem Fall ein Kandidat für diese Liste ist. Vielleicht weiß man das erst am ganz am Ende der Geschichte. Vielleicht gibt es Glückspilze und weniger glückliche auf dieser Welt.

Doch eines habe ich beobachtet. In der der heutigen Gesellschaft, ganz unabhängig von der Generation sind die meisten Freundschaften und Beziehungen nur noch zweckorientiert. Viele Menschen suchen sich Gleichgesinnte, Menschen mit Gemeinsamkeiten in den Gruppen, in denen sie sich bewegen. Es ist wahrscheinlich ganz normal Freunde in der Schule, in der Ausbildung, im Studium, auf Arbeit, im Verein oder in der Nachbarschaft zu suchen. Das war schon immer so. Wir alle verbringen auch viel Zeit mit diesen Menschen. Bei Abschiedspartys, die stattfinden, weil etwas zu Ende geht oder weil jemand eine Gruppe verlässt, versprechen wir uns ewig treu zu bleiben. Wir werden auf jeden Fall in Kontakt bleiben und uns regelmäßig besuchen. In manchen Fällen fließen sogar Tränen. Oft merkt man bereits nach einer Woche, dass diese Aussagen vielen Menschen nichts bedeuten. Es ist meist plötzlich keine Zeit mehr, man hat jetzt andere Freunde. Die Nachrichten sind einfach untergegangen, weil das neue Leben so anstrengend ist. War alles nur gespielt?

Schätzen wir Beziehungen noch wert? Wir haben heute mehr Kommunikationsmöglichkeiten als je zuvor. Mit Menschen zu kommunizieren verwirrt jedoch oft. Wer kennt sie nicht, die Freunde, Kollegen und Verwandten, die unter ständiger Nachrichten-Amnesie leiden. Unterhaltungen, die mitten im Thema abbrechen. Harmlose und wichtige Fragen auf die keine Antwort kommt. Wie sollen wir uns noch im realen Leben treffen, wenn man zwei Monate nach dem Treffen mitgeteilt bekommt, dass der Sonntag als Termin gut gewesen wäre, aber leider schon vorbei ist? Warum sind viele App-Anbieter so unfair und bieten nur einem Teil der Nutzer die Möglichkeit gelesene Nachrichten auf ungelesen zu stellen, um später noch ans Antworten zu denken? Zumindest fängt mein Kopf an diese Verschwörungstheorie zu spinnen, wenn ich an manche Begebenheiten denke.

Aber das ist kein Problem, denn die Sozialen Medien bringen uns seit langem eine erholsame Reduzierung der Kommunikation. Wenn wir unser ganzes Leben posten, können wir Unterhaltungen schnell damit beenden, dass wir das Erzählte des Gegenüber nicht hören müssen, da es schon auf allen Plattformen stand. Hier kommt auch die Freundschaft ins Spiel: Wenn wir etwas nicht selbst posten, finden wir manchmal nette Freunde, die es für uns tun. Auch das erspart viele nette Gespräche. Wir haben nämlich schon das Bild gesehen, wo du markiert wurdest!

In den sozialen Medien fühlen sich alle wie Popstars. Alles über uns ist wichtig und interessant. Der soziale Vergleich kann endlich in Höchstform ausgelebt werden. In allen Medien lernen wir, wie toll Menschen sein können. Wir vergleichen unsere Freunde nicht mehr mit den Freunden des Dorfnachbarn. Wir schauen unsere Lieblingsserie, nehmen den frei erfundenen Freundeskreis aus ihr. Dann starten wir die Vergleiche. Wir stellen fest, dass wir auch den Aufreißertypen in der Clique haben, aber unserer ist nicht so amüsant. Wir finden die Shopping-Queen im Freundeskreis. Auch wir haben das Paar, was eine On-Off-Beziehung führt, aber die beiden sehen nicht so gut aus. Wir ordnen uns selbst ein. Am Ende merken wird, dass wir einfach nicht genug haben. Da draußen, gibt irgendwo auf der Welt Menschen, die als Freunde perfekt wären. Wir müssen sie nur finden. Natürlich wären wir selbst perfekte Freunde für diese imaginären Figuren. Vielleicht zweifeln wir auch gleich an dem eigenen Partner, da gibt es bestimmt auch irgendwo noch was Besseres. Hast du man all die Schauspieler gesehen?

Egal wer von uns heimlich zugeben muss an einer dieser Pandemien erkrankt zu sein oder ein Opfer der Folgen ist, wir müssen darüber nachdenken, warum wir nicht mehr an unseren Freundschaften und Beziehungen festhalten. Warum selbst Menschen, die uns wirklich etwas wert sind, es nicht verdient hätten, Beachtung zu finden. Möchten wir wirklich Teil einer sehr kalten Gesellschaft sein in der nur noch von surrealen Freunden geträumt wird? Was können wir tun, um selbst wieder mehr Halt zu finden? Wollen wir es schaffen, wenigstens diese drei wirklichen Freunde zu finden und zu halten?


Maren Zaidan
Bundesvorsitzende der Partei DIE FÖDERALEN
Essen, den 13.07.2020