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Gehirn wird heruntergefahren in 10 Sekunden

Über Massenüberwachung, Nachrichtenauslese und die Unnötigkeit zu denken

Maren Zaidan, 14. April 2021 14:00 Uhr

Massenüberwachung und Künstliche Intelligenz beeinflussen uns immer mehr.

Es begann vor langer Zeit mit dem Traum von etwas mehr Sicherheit und weniger Arbeit. Inzwischen ist es längst ein Albtraum aus Verfolgungswahn, eigene Ideen abschalten und nur noch vorsortierte Informationen erhalten.

Ich könnte diesen Artikel sehr formal und fachlich korrekt schreiben. Doch diese Artikel gibt es seit vielen Jahren und scheinbar bewirken sie nichts. Immer wieder sitz - ach nein - saß (Freunde haben ist verboten wurden!) ich mit einem Kaffee vor irgendeinem Freund oder Bekannten, der mir klar machen möchte, dass ich einfach ruhig bleiben sollte und alles ok ist. Fangen wir also sehr, sehr persönlich und unfachlich an. Auf der Ebene der Argumente, die mir entgegengebracht werden - eben nur mit dem was auf dieser Ebene bei mir passiert.

Ich habe als Kind meine Tagebücher in Spiegelschrift geschrieben. Es stand nichts schlimmes drin und niemand muss mit einem Spiegel auf die Suche nach ihnen gehen und die Spielschlösser knacken. Ich hasse es, wenn jemand anderes im Raum ist, während ich telefoniere. Egal wer am Telefon ist und egal wer im Raum ist, egal worum es geht. Ich brauche etwas Privatsphäre und möchte nicht jedes Wort, jedes Lachen und Seufzen von allen Seiten ausgewertet oder aus dem Zusammenhang gerissen, bekommen.

Genauso ist es mit meinen online versendeten und empfangenen Nachrichten. Ich habe theoretisch auch nichts zu verbergen, doch der Moment indem ich mit einem Bekannten merkte, dass wir beide glaubten privat zu schreiben, aber alles öffentlich in einer Gruppe stattgefunden hat, war unangenehm, obwohl in dieser Unterhaltung nicht ein wirklich persönliches Wort fiel.

Eltern wählen Wählen die Kindersendungen, Kinderbücher und Hörspiele für ihre kleinen Kinder aus. Für schädlich empfundene Inhalte gelangen gar nicht in die Welt der kleinen Kinder. Mit der Zeit lernen die Kinder jedoch Inhalte selbst auszuwählen und mit ein wenig Glück und vielleicht ein paar negativen Lernerlebnissen, treffen sie ihre Auswahl als Erwachsene selbst sehr gut.

Wir lernen als Kinder Sprechen, Schreiben, Lesen, Rechnen und viele andere Grundfertigkeit, um selbstständig in der Welt klarzukommen. Wir lernen in der Schule vieles über die Geschichte und Kultur, um Sachverhalte in unserer eigenen Zeit selbst einordnen zu können.

Und dann ist alles für die Katz! Wir erleben in den letzten Jahren eine Rückentwicklung unseres Geistes. Künstliche Intelligenz wird dazu eingesetzt, uns das denken abzunehmen und das persönliche aus unserer Welt herauszulöschen. Der kleine nebenläufige Witz in einer Antwort, die persönliche Eigenheit, die nur, die eine einzige Person hat, regionale Besonderheiten werden aus der Sprache gelöscht. Das alles passiert, weil zum Beispiel Schreibprogramme und Messenger-Dienste inzwischen den Inhalt der Nachrichten erkennen und Antworten vorschlagen. Alles wird so weit personalisiert, dass es beim Suchen in Suchmaschinen schwer wird, der eigenen Blase zu entkommen. So saß ich vor einer ganzen Weile da und suchte eine einfach geschriebene Erklärung für einen Bekannten und fand nur Fachtexte. In anderen Themenbereichen wird es schwer, etwas fachlich gutes zu finden, wenn man für gewisse Internetkonzerne in die Trottel-Kiste in diesem Gebiet gesteckt wurde.

Früher sollte man Nachrichten konsumieren. Die Zeit hat sich geändert. Das Radio und Fernsehen wurden durch Streaming-Dienste ersetzt, die mir das spielen, was ich mag, aber keine Nachrichten. Die Zeitungen befinden sich in einem Teufelskreis und berichten oft einseitig, also greifen wir auf Online-Nachrichten zurück. Klingt erstmal vielfältiger als jeden Tag Nachrichten derselben Redaktion zu lesen. Die Einseitigkeit wird ersetzt. Ich lese inzwischen Nachrichten vom regionalen Käseblatt aus einer ganz anderen Region, in der ich noch nie war, Nachrichten von hippen Onlinemagazinen, deren Motivation manchmal fragwürdig ist und Nachrichten von den alten, renommierten Zeitungen. Dafür sortieren Algorithmen inzwischen, was zu mir passt und was nicht. Zumindest nach Meinung des Algorithmus. Manchmal ist das sehr hilfreich, weil ich nach gewissen speziellen Nachrichten nicht stundenlang suchen muss, andererseits passieren Sachen mit denen ich nicht einverstanden bin. Während ich hundert Nachrichten über das Thema mit dem ich mich seit Jahren beschäftige, erhalte und glaube es passiert gerade nichts aufregendes auf der Welt, entgehen mir politische Entscheidungen und Naturkatastrophen, die mich eigentlich gerade mehr interessiert haben. Hätte ich nur mehr nach Vulkanausbruch oder Massenüberwachung gesucht! Dafür erhalte ich Nachrichten bei denen ich manchmal nicht fassen kann, dass sie überhaupt geschrieben werden, weil ich in einer Nachricht an eine Freundin vor fünf Jahren Witze über etwas gemacht habe, was mir eigentlich wirklich nichts bedeutet. Öffentliche Benutzungen der eigenen Nachrichtenübersicht können peinlich werden!

Und genau an der Stelle fangen wir oben wieder an und kommen beim aktuellen Thema an, was übrigens trotz jahrelangen Interesses von meiner Nachrichtenübersicht für mich aussortiert wurde: Das EU-Parlament schützt seine Bürger wieder mal stärker vor Kinderpornographie und verfolgt Straftaten stärker. Wie? Durch massenhafte, unbegründete Überwachung von privaten E-Mails, Chats und Nachrichten. Ich habe nichts zu verbergen, aber so, wie ich nicht möchte, dass meine Freunde meine E-Mails mitlesen, möchte ich den Staat oder ein Unternehmen alles mitlesen und auswerten lassen. Künstliche Intelligenz arbeitet mit Mustererkennung. Ich möchte etwas an meinem Leben ändern können ohne aufgrund fehlerhafter selbstlernender Systeme unter Verdacht zu geraten. Ich möchte nicht ständig in Schubladen gesteckt werden.

Leider passiert überall dasselbe. Die meisten Menschen denken nicht selbst mit! Sie haben sich an die beschriebenen Vorgänge gewöhnt und rutschen immer weiter rein. Ich habe mir Wissen angeeignet und kann selbst abschätzen, was ich mir antue und was nicht. Ich möchte Kontrolle über mein Leben. Ich fühle mich durch Algorithmen, die mir vorlegen, was ich lesen und anschauen darf, bevormundet. Ich möchte mich lieber mit Eigenheiten und meinen Fehlern zu erkennen geben, als dieselbe Floskel, wie alle anderen zu senden. Ich möchte nicht bei jeder Nachricht nachdenken, ob der Algorithmus versteht, dass ich bei der Benutzung eines zweifelhaften Wortes Witze gemacht habe. Wenn es inzwischen nötig ist den meisten Bürgern zu sagen, was man antwortet, zu sagen, was sie konsumieren sollten und zu kontrollieren, was sie machen, hat unser Bildungssystem komplett versagt. Wenn wir wirklich soweit sind, ist das ganze Land inzwischen auf dem Stand eines dreijährigen. Vielleicht müssen deshalb nun auch alle um neun ins Bett! Schlaft gut und vergesst nicht Zähne zu putzen!


Maren Zaidan
Bundesvorsitzende
DIE FÖDERALEN