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Bitte triff niemanden

Ein Aufruf zum anders – äh – normal sein

Maren Zaidan, 23. September 2020 18:00 Uhr

Einfach wieder das alte Leben führen

Wer sich an das Absurde gewöhnt hat, findet sich in unserer Zeit gut zurecht. — Eugène Ionesco

Eugène Ionesco ist bereits 1994 gestorben. Was er wohl zu der heutigen Zeit gesagt hätte? Am Anfang der Corona-Krise fiel das Wort neue Normalität. Die Schritte dahin wurden erklärt. Es wurde erklärt wie die neue Normalität aussehen wird. Wer Optimist war hat nicht daran geglaubt, dass die alte Normalität die neue Normalität nicht wieder einholt. Wer Pessimist war oder besser gesagt Realist war, dachte an Ereignisse wie den 11. September 2001. Ein Tag, der bis heute die Welt verändert hat.

Die Krise scheint wie eine Narbe zu sein. Ich kann nicht behaupten, dass man im Frühjahr gedacht hat, dass im Herbst alles beim Alten ist. Inzwischen wiederlegen sich für mich jedoch mehr und mehr die Forschungsergebnisse aus der Soziologie. Wir haben Probleme damit Erziehungsmuster von Jungen und Mädchen zu ändern, Rollenbilder zu ändern, Stereotype abzulegen, aber eines ging ganz schnell: Wie viele Menschen merken den Unterschied zwischen heute und der Welt im Herbst 2019 nicht mehr? Ich bekomme nicht mehr erzählt, dass die Maßnahmen nerven, aber nötig sind. Inzwischen bekomme ich erzählt, dass wir alle wieder unser normales Leben leben. Im nächsten Satz werde ich dann dazu aufgefordet andere Menschen zwei Wochen lang nicht zu treffen, wenn ich vorhabe meine Familie zu sehen. Früher gab es Menschen, die glaubten man müsse sich zwischen 2 Freunden entscheiden, wenn diese sich nicht leiden können, heute muss man sich aus modernen moralischen Gründen für die einen Menschen und gegen die anderen Entscheiden. Jeder mit einer gesunden Einstellung sagte früher und heute zu soetwas Nein, danke! und tra(i)fft alle. Selbst wenn die Wunder nicht mehr da ist, glaube ich inzwischen wird eine Narbe bleiben. Eine Stelle, die nicht besonders stört, aber trotzdem nicht so ist, wie zuvor.

Ich glaube für viele auf dieser Welt ist es Zeit geworden die alten Fotoalben rauszuholen. Vielleicht findet sich dazu Zeit, wenn es etwas herbstlicher geworden ist. Was spricht gegen eine heiße Tasse Kakao und ein paar Erinnerungen, wenn es draußen stürmt? Vielleicht brauchen wir keine Aufklärung über die Maßnahmen und die Krankheit mehr. Vielleicht hilft es ein paar schönen Erinnerungen ins Gedächtnis zu holen. Was ist aus den Tagen mit großen Familienfeiern ohne bei der Polizei abgegebenes Hygienekonzept geworden? Wo sind die Freunde mit denen man früher ohne Abstand Zeit verbringen konnte? Wer hat Lust sein Konzertticket bis 2021 aufzuheben? Hätte es nicht im nächsten Jahr andere Konzerte gegeben? Warum erzählt mir eine Bekannte von den Hürden in den heutigen Tagen einen neuen Partner zu finden? Vielleicht weil wir alle gezwungen sind auf Abstand zu gehen.

Das was vor ein paar Monaten menschlich und freundlich war, ist heute Ungehorsam. Früher war der Minirock unanständig, heute die falsch getragene Maske. Angst macht viel mit Menschen. Wer Angst hat, greift zu jedem Mittel was Hilfe verspricht. Noch mehr Angst machen ist immer schädlich. Die Angst eines anderen zu ignorieren, zeugt nicht gerade von Empathie. Die alt bewährte tröstende Umarmung ist tabu. Provokation stößt auf Ekelgefühle. Ekel hat sich in den letzten Monaten genauso stark vermehrt wie die Angst.

Ich habe nicht viele Ideen, wie man es besser machen könnte. Ich glaube aber daran, dass wir alle die ein oder andere Erinnerung missen. Vielleicht können wir mit positiven Gefühlen zumindest mit bei denen etwas erreichen bei denen wir im Fotoalbum kleben. Egal wie alt diese Fotos sein mögen. Ich sehe das Leben immer als eine Art Film und in diesem Jahr musste ich leider bei viel zu vielen Szenen das Kino verlassen. Ich hoffe ich verstehe die nachfolgenden Szenen der anderen noch, wenn alles wieder normal ist.


Maren Zaidan
Bundesvorsitzende der Partei DIE FÖDERALEN