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Liebe Oma,

lieber Opa,

Maren Zaidan, 20. August 2020 16:46 Uhr

Besuche bei Oma und Opa

heute möchte ich euch wieder einmal schreiben. In den letzten Monaten habe ich euch leider immer nur am Telefon hören können. Wir konnten sprechen, uns aber nicht sehen. Corona macht euch Angst.

Früher war ich eurer Ansicht nach immer zu selten nach Hause gekommen. Wenn ich dann in der alten Heimat war, konnte ich auch jeden Tag zu euch kommen. Eurer Ansicht nach war es nie genug und hinterher wurde sich immer bei meinen Eltern beschwert, dass ich ruhig mal mehr und länger hätte da sein können. Am Anfang der Corona-Krise war es ausgeschlossen, dass ich mehrere Bundesländer durchquere und ich hätte im alten Zuhause in Quarantäne gemusst. Theoretisch gibt es nun diese Hindernisse nicht mehr, doch die Ängste vor anderen Menschen und anderen Bundesländern sind geblieben. Nun erzählt ihr mir am Telefon, dass ihr mich gern sehen würdet, aber mein aktuelles Zuhause scheinbar gefährlichere Viren beherbergt als mein altes.

Die Medien erzählen mir, dass Telefonate, Videocalls, private Podcasts und Briefe eine gute Alternative zu realen Besuchen sind. Leider vermissen auch Menschen in meinem Alter ihre Großeltern. Ich könnte all die modernen Mittel euch zu erreichen nutzen, doch eure Generation hat in der realen Welt keinen Zugang zu diesen Mitteln und die Enkel dürfen gerade nicht vorbeikommen, um das zu erklären.

Ich vermisse das Kaffee trinken und Kuchen essen bei euch. Ich vermisse es, bei jedem Besuch festzustellen, dass die Limo, die ich als Kind geliebt habe, immer noch für mich bereit steht, zusammen mit derselben Kekspackung und den Gebäckstücken, die ich damals geliebt habe. Ich vermisse es immer noch, auf demselben Platz sitzen zu können, auf dem ich meine Hausaufgaben gemacht habe und mit euch über alles von den verrückten Nachbarn bis hin zur Weltpolitik reden zu können. Ich vermisse die Besuche, bei denen unangekündigt die halbe restliche Verwandtschaft dazukam und alle zusammen lachen konnten. Ich vermisse es darüber zu lächeln, dass eines eurer Urenkel sich mein gelbes Limoglas mit Kindermotiven aus meinen Kindertagen eingeheimst hat, was mir bis zu diesem Tag viel zu lange hingestellt wurde.

Ich möchte an die Generation eurer Urenkel erinnern. An die Kinder, die noch nicht so viele Erinnerungen an bestimmte Plätze und Kleinigkeiten aufbauen konnten. Ich möchte an die erinnern, denen durch das aktuelle Leben die Großeltern zu Fremden werden, die man besser „siezt“, da sie viel älter und unbekannt sind. Ich möchte an die Grundschüler erinnern, die viel arbeitende Eltern haben und normalerweise nach der Schule mit Opa werkeln würden und mit Oma Leckereien fabrizieren würden. Ich möchte an die Teenager erinnern, die gerade Streit mit ihren Eltern haben und vielleicht auf Verständnis und Hilfe von ihren geliebten Großeltern hoffen könnten, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Ich möchte an die Studenten erinnern, die gerade zum ersten Mal für vielleicht immer das Zuhause verlassen haben und es genießen würden, nach Hause zu kommen und zu merken, dass alles noch beim alten ist.

Ich möchte ganz besonders an die Großeltern aller erinnern, die allein zuhause sitzen und sich, wenn sie mutig sind, wieder zum Einkaufen und in den eigenen Garten getrauen. Ich möchte daran erinnern, dass wir bereits vor der Krise in einer Zeit lebten, in der vor lauter Stress die ältere Generation und die jüngste Generation viel zu oft vergessen wurde. Ich möchte an all die erinnern, die nicht mal mehr die Möglichkeit haben rauszugehen und nur auf nette Besuche von Verwandten und Bekannten hoffen können. Ich möchte an die armen Menschen in Pflege-, Alten- und Behindertenheimen erinnern, die vollkommen abgeschottet und isoliert werden.

Ich plädiere an die Menschlichkeit von uns allen. Was hilft uns eine Gesellschaft, in der alle Angst voreinander haben, niemand mehr ein enges Verhältnis zur eigenen Familie hat und alle einsam sind? Was hilft es uns zu glauben, nur die eigene Familie würde durch Videocalls und Telefonate keine Familienfeiern und Besuche ersetzen können?


Maren Zaidan
Bundesvorsitzende der Partei DIE FĂ–DERALEN
Essen, den 20.08.2020