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Ketten-Effekte

Wie man alles zu Tode optimiert

Stefan Brackmann, 1. April 2021 08:00 Uhr

Da sind wir doch noch knapp an einer Katastrophe vorbeigekommen, mögen sich viele denken. Warten sie doch sehnsüchtig auf ihren Nachschub an Finelinern oder Vitaminpräparaten. Der befindet sich aktuell irgendwo im Roten Meer oder im Golf von Aden und wartet auf seine Weiterfahrt durch den Suez-Kanal zu uns.

Wir leben in einem Zeitalter der Optimierung. Alles muss optimal sein. Vom optimalen Garzeitpunkt, der optimalen Belichtung bis zum optimalen Lagerbestand gibt es nichts, was wir bis an den Rand des Möglichen zu verbessern wissen. Bereits Mitte der 1980er Jahre wurde die Lagerhaltung optimiert. Es war schick und günstig, die Lager so zu verkleinern, dass eine sogenannte Just-in-time (JIT)-Lieferung erstrebenswert ist.

Das bedeutet zum Beispiel bei der Automobilindustrie, dass die erforderlichen Bauteile von den Zulieferern direkt ans Band geliefert werden. Ein Zwischenlager kann dann relativ klein ausfallen, im besten Falle wird sogar darauf verzichtet. Dieses Beispiel ist deshalb so wichtig, weil es im Jahr 1998 dazu führte, dass die Autofirma Ford auf ca. DM 100.000.000,— Umsatz verzichten musste.

Ein Streik in der Automobilindustrie wurde so geschickt platziert, dass ein kleiner Zuliefererbereich (Autoschlösser) bestreikt wurde und so die Produktion der Fahrzeuge lahmlegte.

Dies zeigt auf, dass bis an den Rand getriebene Optimierungsprozesse ein gewaltiges Potenzial aufweisen. Das Potential, einen groĂźen Schaden zu verursachen. Wenn alles optimiert ist, dann fĂĽhren kleinste Abweichungen zu problematischen Situationen. Wie jetzt im Suez-Kanal.

Hier spielt noch eine andere Entwicklung der letzten Dekaden mit. Ein chinesischer Wirtschaftsraum gilt als Werkbank der Welt und damit wird obiges Problem zu einem Problem mit globalem Ausmaß. Nicht nur für die Automobilindustrie in unserem Land, sondern viele Wirtschaftsbereiche wären weltweit davon betroffen.

Wenn Optimierung und Globalisierung auch noch auf Monopolisierung trifft, kann das nicht nur die weltweiten Handelsströme stören, sondern eine Krise gewaltigen Ausmaßes auslösen. Hier hilft nur eine Rückbesinnung auf Produktion im eigenen Land, ein Warensystem, das auch kurzfristige Verzerrungen auffangen kann und ein gesunder Menschenverstand. Was haben wir davon, wenn wir T-Shirts für € 1,— hier kaufen können, wenn dafür irgendwo auf dieser Welt unser Maßstab an Arbeitssicherheit, sozialer Absicherung und viele andere Dinge nicht gewährleistet ist.

Über die Wertschöpfung und die steuerlichen Auswirkungen sollte man dann auch noch nachdenken.

Heute zum Abschluss mal ein kurzes, abgewandeltes Gedicht:

Erst wenn der letzte Prozess optimiert,
wenn die letzte Schraube auf die Sekunde eintrifft,
wenn alles wie am Schnürchen läuft,
wenn alles immer verfĂĽgbar ist,
erst dann werden wir feststellen,
wie verletzbar wir sind.


Stefan Brackmann
Bundesvorsitzender
DIE FĂ–DERALEN